Mein Partner sieht mich nicht

Wie andere Paare auch, haben Ingrid und ihr Mann unterschiedliche Meinungen zu bestimmten Themen. 

Ich beschreibe eine tatsächliche Begebenheit. Es geht nicht um den Anlass an sich, es könnte ebenso ein anderer sein.

In diesem Fall sind sich die beiden uneins bei dem allgegenwärtigen Thema der Injektionen. Sie handelten jedoch sowas wie einen „Waffenstillstand“ aus und jeder hat seiner eigenen Entscheidung gemäß gehandelt.

Ingrid, mit ihrem Entschluss sich keine Spritze verabreichen zu lassen, bläst nun mit den verschärften einschränkenden Maßnahmen von außen enormer Wind entgegen. So ist es nicht verwunderlich, wenn sie da mal einen emotionalen Tiefpunkt hat, was sie ihrem Mann gegenüber auch verbalisierte. Was sie brauchte, war einfach moralische Unterstützung. Gesehen werden mit ihrem momentanen Schmerz.

Es mündete jedoch in eine üble Auseinandersetzung mit ihrem Mann und Ingrid war ganz schön durch den Wind als sie mich anrief.

Ihr Mann machte Bemerkungen, denen man entnehmen konnte, dass er ihren Schmerz überhaupt nicht wahrnahm. Er redete ihre Gefühle klein. Offensichtlich verstand er ihre Lage überhaupt nicht.

Ingrid war verletzt, wütend, traurig, verzweifelt, hilflos. Alles gleichzeitig. Sie fühlte sich nicht gesehen.

Sie machte ihren Mann zum Bösewicht und sich zum Opfer.

Die beiden kennen sich bereits seit mehr als 20 Jahren. Es war nicht die erste Szene dieser Art. Daher war ihr schon klar, dass er einfach nicht in der Lage ist, sie so zu sehen, wie sie gerne gesehen werden wollte. Aber es schmerzte so sehr!

Sie wollte nur noch raus aus dem Gefühl, fand jedoch keinen Weg. Denn sie hatte gelernt Probleme immer mit ihrem Verstand zu lösen. Der drehte sich im Kreis. 

Hier ging es um Gefühle und die mag Ingrid nicht zulassen. Ihr Leben lang hat sie die Gefühle, die in ihrem Weltbild als Schwäche gelten, negativ bewertet.

So war sie im Widerstand meine Empfehlungen auszuprobieren. Ihr Ego-Verstand sagte ihr, dass das nicht ginge. 

Unser Ego hält uns am liebsten im Status Quo, auch wenn es sich nicht gut anfühlt. Da kennt es sich aus. Es will nicht die Kontrolle verlieren. 

Es hat sich Muster und Glaubenssätze in unserer Kindheit zu unserem Schutz angeeignet. Da waren sie durchaus angebracht. 

Heute jedoch, als Erwachsene, sind wir in einer anderen Position und diese alten Verhaltensweisen sind oft eher hinderlich, wie hier bei Ingrid, laufen jedoch gerne auf Autopilot.

Da braucht es schon viel Aufmerksamkeit um festzustellen, in welchem Modus man sich gerade befindet und den Willen es dann auch ändern zu wollen.

Was also tun, wenn der Verstand die Oberhand hat?

Ich empfahl, ihre Gefühlen erst einmal anzuerkennen und nicht gleich den „Ich schimpfe über meinen Mann und dann verdränge ich das Ganze“-Mechanismus einzuschalten.

In diesem Fall war es mir wichtig, dass sie die Gefühle aus ihrem Körper bringt. Das geht am besten durch Bewegung. Sei es Spazierengehen, stampfen, hüpfen, oder mit den Fäusten auf Kissen einschlagen und dazu schreien. Da gilt es in sich hinein zu spüren: welche Methode ist für mich in der gegebenen Situation stimmig?

Es hatte keinen Zweck weiter auf sie einzureden. Sie war unwillig anders zu handeln, als sie es üblicherweise tat.

Der Körper speichert unsere Gefühle

Am nächsten Tag sprach ich noch einmal mit ihr.

Ich erklärte ihr, dass alle Gefühle in unserem Körper gespeichert werden. Wenn wir unsere Gefühle unterdrücken und nicht verarbeiten, kann das zu körperlichen Schmerzen und sogar zu Krankheiten führen.

Nachdem Ingrid mit mir bereits aufmerksam sein und bewusst sein geübt hatte, freute es mich sehr, dass sie das bestätigte. Ihr ist nämlich aufgefallen, dass sich dieses schreckliche Gefühl vom Vorabend in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Sie beschrieb es so, als wenn man einen Farbklecks in ein Wasserglas gibt und der sich gleichmäßig überall verteilt.

Es fällt oft schwer, Jahrzehnte lange Gewohnheiten von heute auf morgen zu verändern.

Sei geduldig und liebevoll mit dir, so wie du es mit deinem Kleinkind wärst.

Halte deine Gefühle aus, schaue sie an, ohne dich tiefer in sie hinein zu graben. 

Dieses Anerkennen ist genau das, was Ingrid von ihrem Mann gerne gehabt hätte. 

Nimm du selbst zunächst alle deine Gefühle bewusst wahr und erkenne sie an.

Erkenne dich an, wie du bist. Mit allen Facetten. Ohne Beurteilung.